24. August 2016

Kosmologisches Glaubensbekenntnis

Das Bild zeigt den größten Teil des
Kosmos, der jemals fotografiert wurde:
Hubble Ultra-Deep Field
Kürzlich fragte mich jemand in einer Wissenschaftsgruppe, wie ich zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Theorien stehe. Als geübter Mitdenker und Meinungshaber geht das schnell von der Hand.

Hier also mein physikalisch kosmologisches Glaubensbekenntnis:

- glaube an den Urknall. Ich weiß aber nicht wie es dazu kam. Es gibt die Idee, dass das Universum Null Gesamtenergie hat. Dann kann es im Multiversum zufällig aus einer Quantenfluktuation entstanden sein. (bb+)

- bin indifferent was die kosmische Inflation betrifft. Mit "Überlichtgeschwindigkeit" von Planck-Länge zu Atom-Größe. Das ist schon eine wilde These. Es könnte andere Erklärungen geben für die Struktur des Mikrowellenhintergrunds. Ich denke, das finden wir noch heraus. (ci+)

- glaube an eine Multiversum-Theorie, weiß aber nicht welche, vielleicht mit unendlich vielen Universen mit zufälligen Parametern. (mv/rp)

- glaube deshalb auch, dass wir in einem Universum leben und zu einer Zeit in der die Parameter genau so sind, dass unsere Art Leben möglich ist. In sehr vielen Universen und Zeiten ist das nicht so. Das Universum ist nicht für uns gemacht. Wir stellen uns die Frage, ob wir einzigartig sind und ob das Universum für uns gemacht ist (eventuell von jemand), weil wir zufällig hier sind. Wären die Parameter nicht so lebensfreundlich, dann könnten wir die Frage nicht stellen. Also eher Zufall als kreiert. (id--)

- bevorzuge eine einfache Ballon Hypothese als Modell für das 3-dimensionale Universum Mein einziger Grund ist Ockham's Razor, denn alle anderen Theorien sind komplexer aber nicht besser (besser im Sinne von beweisbarer).

- bin noch skeptisch bei dunkler Materie. Ich sag mal 50:50, dass es was in unserem Universum ist, z.B. bisher unbekannte Elementarteilchen. Kann aber auch ein anderer Effekt sein, z.B. die Gravitationswirkung von Materieballungen anderer Universen, die über höhere Dimensionen des Multiversums in unseres hinein wirkt. Das kann Gravitation vermutlich. Update: nach neuesten Erkenntnissen eher keine "Einstreuung", sondern doch was bei uns. (dm+)

- bin kritisch gegenüber der populärwissenschaftlichen Interpretation von dunkler Energie, insbesondere der Teil mit 70 % des Universums usw. Ich glaube das ist was anderes. (de-)

- glaube nicht an Supersymmetrie. Erstens ist das viel Theorie und nötige Teilchen im Vergleich zum Mehrwert. Zweitens hat man noch keinen der supersymmetrischen Partner gefunden. Bis dahin: nein. (ss-)

- bin kritisch bei der Stringtheorie, weil sie schwer zu beweisen ist. Ein Puzzlestück fehlt mir tatsächlich noch. Warum ballt sich Energie zu verschiedenen Typen von Elementarteilchen zusammen. Was macht ein Klümpchen Energie zum Gluon? Da muss eine Theorie her. Da würde die Stringtheorie passen, aber es könnte auch was ganz anderes sein. (st-)

- finde Schleifenquantengravitation nett. Eigentlich gilt das gleiche, wie für die Stringtheorie: schwer zu prüfen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass alles quantisiert ist, auch der Raum. Quantisierung macht das Leben immer interessant. Alles was wir kennen entsteht aus Quantisierung. Ein gutes Prinzip. Allerdings ist die Skala so klein, dass es praktisch nicht relevant ist. Das ist schade. Abgesehen von der Skala könnte man eine Ähnlichkeit sehen zwischen quantisierter Raumzeit und Gitter-QCD. Das könnte darauf hindeuten, dass wir in einer Simulation leben, Glaube ich aber nicht. (lqg+)

- Nebenthema Fermi-Paradox: Ich glaube (leider) an Thesen wie Great-Filter, Rare-Earth, Rare-Intelligence. Mit anderenWorten, keine Aliens, zumindest nicht in Reichweite. Pech. Milliarden erdähnliche Planeten pro Milchstraße hin oder her. Great Filter quetschen die Wahrscheinlichkeit gaaanz schnell zusammen. (fp/gf)

- Nebenthema Simulationshypothese: Wenn unsere Art intelligentes Leben im Prinzip einzigartig ist (wie gesagt, nicht anthropozentrisch, sondern zufällig und "rare"), dann spricht die Statistik nicht für eine Simulation. Andererseits, die Fernwirkung der Quantenverschränkung und das Doppelspaltexperiment mit verzögerter Erkenntnis lassen mich etwas schaudern. Genau so würde man eine Simulation effizient machen: solange keiner hinschaut als Welle und erst dann als Teilchen, wenn eines der simulierten Wesen genau nachmisst. (sh-)

Zurück zur Physik:

- bin total pro Standardmodell. Das scheint gut zu funktionieren. Ich habe kein Problem mit (zu) vielen Parametern. Verstehe nicht warum 19 Parameter schlechter sein sollen als z.B. 3 oder 6. Wer kann mit Autorität behaupten, dass 19 Parameter "viel" sind. Vielleicht wäre 1000 viel und 19 ist schon wenig. Was mir schwerer im Magen liegt ist die Renormierung. Die Mathematik sollte ohne auskommen. Auf der anderen Seite ist das Hinweis auf eine vereinheitlichte Theorie. Das hat ja auch was. (sm+++)

- habe nicht an das einfache Higgs geglaubt und bin immer noch skeptisch. Ich finde es gut, wie CERN offiziell formuliert: Man hat ein "Boson mit Higgs-artigen Eigenschaften" gefunden. Aber ob es das einig wahre Higgs ist und ob es das wirklich gibt, bin ich nicht sicher. Der Higgs-Mechanismus ist fast zu einfach und konstruiert, um wahr zu sein. LHC hat eben gefunden, was gesucht wurde. Hätte man eine anderen mathematischen Mechanismus erfunden und was anderes gesucht...naja. Update: OK, das ging daneben. Es scheint wirklich das schlichte Higgs zu sein, wie langweilig.

- glaube die Allgemeine Relativitätstheorie trifft es schon ziemlich gut ("nails it"). Ich könnte mir noch Quantenkorrekturen vorstellen, die auch die ART wieder als Näherung erscheinen lassen. (gr+++)

- fürchte, dass die spezielle Relativitätstheorie stimmt, also erstmal keine Überlichtgeschwinigkeit, keine Zeitreisen. Aber ich habe noch Hoffnung, dass man das "umgehen" kann ohne die SRT zu verletzen. Das würde natürlich bedeuten, dass es Beobachter gibt, bei denen die Kausalität verletzt ist. Aber diese Beobachter könnten selbst keinen Einfluss nehmen. Also hoffe ich, dass die geradezu dogmatische Kausalitätsforderung der modernen Physik ("kausal für alle Weltlinien") etwas aufgeweicht wird. (sr++)

- kann mir vorstellen, dass es nicht zwingend eine große vereinheitlichte Theorie geben muss. Vielleicht wirken Standardmodell und ART unabhängig voneinander und lassen sich nicht vereinheitlichen, vielleicht nicht einmal bei sehr hohen Energien. Warum soll es nicht zwei fundamentale Strukturen und unabhängige Wirkungen geben? Mal davon abgesehen, Standardmodell beschreibt Teilchenfelder in einer ART Raumzeit. Gravitation ist keine vermittelte Kraft, sondern ein Effekt der Krümmung, eine Scheinkraft, wie die Kraft durch Beschleunigung. Also gibt es auch nichts zu vereinheitlichen und kein Skalenproblem. Wenn Gravitation keine Kraft ist, wie die anderen, dann stellt sich nicht die Frage warum sie sooo viel schwächer ist. Invers relativ gesehen: Stark (1), E/M (100), Schwach (1.000.000), alle gefühlt in einem "vernünftigen" Bereich, dann lange nichts, dann Gravitation (10^38), echt jetzt. (gut-)

Mein Kosmo-Code:
bb+ ci+ mv/rp id-- dm+ de- ss- st- lqg+ fp/gf sh- sm+++ gr+++ sr++ gut-

_happy_believing()

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